Antibiotika in der Zahnmedizin
Antibiotika sind hochwirksame Medikamente, die gegen
Bakterien gerichtet sind - und nur gegen Bakterien. Ihre
Verträglichkeit für den Menschen resultiert aus bei Mensch
und Bakterium unterschiedlichen Stoffwechselwegen sowie
unterschiedlichem Aufbau der Begrenzung von Zellen.
Antibiotika können die vielfältigsten Nebenwirkungen haben
und schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen.
Bei unsachgemäßer und zu häufiger Anwendung resultieren
sehr oft Resistenzentwicklungen - das Mittel verliert seine Wirksamkeit.
Deshalb sind in der Zahnheilkunde sämtliche
Alternativmaßnahmen der Anwendung von Antibiotika vorzuziehen!
Insbesondere dürfen Antibiotika nicht bei lokal begrenzten
entzündlichen Vorgängen verordnet werden, z. B. bei
submucösen Abszessen, entzündlichem Ödem, schon gar
nicht bei einer Pulpitis! Die Entzündungsursache muß, wann
immer möglich, frühzeitig eliminiert werden. Selbst bei einer
dentogenen Sinusitis maxillaris (von einem Zahn ausgehende
Kieferhöhlenentzündung) ist eine effektive Behandlung oftmals
ohne Antibiotika möglich.
Bei allen Erfolgen, die die moderne Antibiotikatherapie zur
Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten aufzuweisen hat,
muß leider konstatiert werden, daß durch zu häufige
und unkritische Anwendung dieser hochwirksamen Medikamente zunehmend
Resistenzentwicklungen bei den verschiedenen Bakterienarten zu
beobachten sind - mit der Folge, daß es beispielsweise wieder
Lungenentzündungen gibt, gegen die wie vor 100 Jahren die Medizin
weitgehend machtlos ist, weil die Erreger gegen alle bekannten
Antibiotika resistent geworden sind, auch gegen Vancomycin, ein
Antibiotikum, was lange Zeit als letzte Reserve galt. Die
Pharmaindustrie ist dabei, den Wettlauf zu verlieren - den Wettlauf
zwischen der Einführung neuer Wirkstoffe und der
Resistenzentwicklung gegen sie.
Mikroorganismen existieren seit Anbeginn des Lebens auf der Erde, sie
stellen heute etwa 85% der gesamten Biomasse dar. Der Mensch
enthält in seinem Darm etwa 2-3 kg Bakterien, ohne die er nicht
lebensfähig wäre. Eine Störung dieses Gleichgewichtes
durch eine Antibiotikatherapie hat, wie man seit kurzem weiß,
auch sehr langfristige Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des
Wirtes.
Diese wenigen Aspekte mögen verdeutlichen, weshalb eine
Antibiotikatherapie nur mit äußerster Zurückhaltung in
Betracht gezogen werden sollte.
Einzellige Lebewesen waren im Laufe der Erdgeschichte in der Lage, sich
an extremste Bedingungen anzupassen, sie überstanden zugleich
extremste Umweltveränderungen. Selbst ein längerer Aufenthalt
im freien Weltraum scheint manchen von ihnen nichts auszumachen.
Deshalb also der Grundsatz: Legen wir uns nicht ohne guten Grund mit einzelligen Lebewesen an, denn sie werden langfristig immer Sieger bleiben!
Geschichtliche Aspekte
Gemeinhin gilt Alexander Fleming als der Entdecker des ersten
Antibiotikums, des Penicillins, als er im Jahre 1928 zufällig
bemerkte, daß in einer von Schimmelpilzen befallenen Petrischale
das Wachstum von Staphylokokken gehemmt wurde.
Jedoch schon 1893 isolierte Bartolomeo Gosio aus einem Schimmelpilz der
Gattung Penicillium eine Substanz, mit der er das Wachstum von
Milzbranderregern hemmen konnte. Seine Veröffentlichungen wurden
aber international nicht wahrgenommen.
Der französische Militärarzt Ernest Duchesne hatte im
gleichen Zeitraum beobachtet, daß mit Schimmelpilzen
überzogene Sättel die durch Scheuern entstandenen Wunden bei
Pferden schneller heilen ließen. Seine Forschungsergebnisse zum
"Antagonismus zwischen Schimmelpilzen und Mikroben", die er in Form
einer Doktorarbeit 1897 am Pasteur- Institut einreichte, wurden jedoch
abgelehnt.
Im Jahre 1910 gelang es Paul Ehrlich, mit dem Mittel Arsphenamin die
Syphilis zu heilen. Die Wirksamkeit dieses Antibiotikums war aber auf
das schmale Spektrum der Spirochäten begrenzt.
Das die Folsäuresynthese hemmende Sulfonamid wurde von Gerhard Dogmagk 1935 erstmalig zur Anwendung gebracht.
Die Schwierigkeiten bei der Darstellung von Penicillin in ausreichender
Menge und Konzentration brachten es mit sich, daß erst im Jahre
1942 der erste Patient mit Benzylpenicillin behandelt werden konnte.
Die Halbwertszeit des Medikamentes im Organismus des Menschen betrug
zunächst nur 15 Minuten, so daß die Verabreichung nur als
Dauerinfusion möglich war.
Wirkungsweise von Antibiotika
Antibiotika wirken entweder bakteriostatisch (Bakterien werden an der Vermehrung gehindert) oder bakterizid (Bakterien sterben ab, insbesondere bei ihrer Vermehrung).
Zur Bekämpfung der Infektionskrankheit ist die körpereigene
Abwehr des Wirtes unerläßlich, denn ihr fällt der
größte Anteil bei der Gesundung zu.
Insbesondere bei lediglich bakteriostatisch wirksamen Antibiotika darf
die Therapie keineswegs vorzeitig abgebrochen werden, da andernfalls
das Bakterienwachstum sofort wieder begänne, noch bevor das
Immunsystem die Bakterien beseitigen konnte. Aber auch bei bakterizid
wirkenden Antibiotika ist eine Mindestbehandlungsdauer von 5 Tagen
unbedingt einzuhalten. Bei der großen Anzahl krankmachender
Bakterien gibt es immer einige, die von vorn herein resistent gegen das
Medikament sind; bevor das Immunsystem diese nicht eliminiert hat,
besteht die Gefahr ihrer explosionsartigen Vermehrung, gegen die dann
ein anderes Medikament eingesetzt werden müßte.
Bekannteste Vertreter bakterizid wirkender Antibiotika sind Beta- Lactam- Antibiotika, zu denen alle Penicilline
gehören. Sie stören den Aufbau der Zellwand der Bakterien,
insbesondere bei grampositiven Bakterien. (Die Gramfärbung ist
eine der wichtigsten Färbemethoden in der Bakteriologie; sie zeigt
an, ob die Bakterien eine dicke Auflagerung hochmolekularer Zucker auf
ihrer Zellmembran besitzen. Ist dies der Fall, so zeigen die
Penicilline entsprechend gute Wirksamkeit.) Das Enzym Beta- Lactamase,
welches die Penicilline zu spalten vermag, kann durch zusätzliche
Gabe von Hemmstoffen gegen dieses bakterielle Enzym die
Antibiotikawirkung verstärken.
Cephalosporine gehören ebenfalls zur Gruppe der Beta- Lactam- Antibiotika. Ihre Einteilung erfolgt in "Generationen".
Makrolide hingegen sind Hemmstoffe der Proteinbiosynthese und wirken dementsprechend bakteriostatisch. Bekanntester Vertreter ist das Erythromycin.
Antibiotika in der Schwangerschaft
Kein Medikament, nicht einmal eine "Schmerztablette" oder
"Nasentropfen" darf ohne ärztliche Verordnung in der
Schwangerschaft eigenommen werden!
Dies gilt erst recht für Antibiotika. Aminoglycoside
beispielsweise führen regelmäßig zur
Innenohrschwerhörigkeit des ungeborenen Kindes, Tetrazycline zu
Leberschäden und verfärbten Zähnen, Sulfonamide zu
Hirnschäden durch Bilirubin- Enzephalopathie.
Eingesetzt werden können in der Schwangerschaft nach Abwägung
aller Risiken und Prüfung der Behandlungsalternativen ohne
Antibiotikagabe die Beta- Lactam- Antibiotika, insbesondere die
Penicilline und Cephalosporine sowie Erythromycin.
Besonderheiten der Infektionen im Kiefer- Gesichtsbereich
Die meisten entzündlichen Vorgänge im Kiefer-
Gesichtsbereich gehen von den Zähnen aus, wenngleich auch
Abszesse, ausgelöst durch Prothesendruckstellen nicht gar so
selten sind. Da sich in der Mundhöhle eine riesige
Bakterienvielfalt befindet, sind daraus hervorgehende Infektionen immer
Mischinfektionen. Daher mag es seltsam erscheinen, daß auch die
Gabe von Schmalspektrum- Penicillinen, die nur gegen grampositive
Kokken wirksam sind, zu rascher Besserung führt, obwohl die im
Abszeß auffindbaren Bakterien überwiegend zu den
gramnegativen Stäbchen gehören. Doch schon eine kleine
antibiotikavermittelte Unterstützung der körpereigenen
Immunabwehr kann zu rascher Besserung verhelfen, insbesondere dann,
wenn die Entzündungsursache zuvor chirurgisch beseitigt wurde.
Problemkeime aber können auch in der Mundhöhle zum Versagen
der Therapie führen. Zu den Problemkeinen zählen in der
Allgemeinmedizin beispielsweise Pseudomonas aeroginosae, Klebsiellen,
in der Zahmedizin insbesondere Actinobacillus actinomycetem comitans,
ein grampositiver Anaerobier in Gesellschaft, der Name sagt es schon,
mit Actinomyces israeli. Hartnäckig wiederkehrende Schwellungen
und Entzündungen ohne makroskopisch erkennbare Ursache und
therapierefraktäre Periodontitiden lassen an diese Erreger bei der
Diagnostik denken. In diesen Fällen ist eine Erreger- und
Resistenzbestimmung unverzichtbar, auf die aus praktischen Gründen
bei hochakuten Entzündungen zumeist verzichtet wird, wenngleich
aus der Bakteriologie gegenteilige Forderungen kommen. Eine gezielte
Antibiotikatherapie erst nach Erreger- und Resistenzbestimmung kommt
bei akuten Entzündungen immer zu spät. Aufgrund der
Mischinfektionen im Kiefer- Gesichts- Bereich führt eine solche
Diagnostik auch sehr oft zu nicht eindeutigen Therapieempfehlungen.
Clindamycin ist das in der Zahnheilkunde am häufigsten eingesetzte Antibiotikum. Es gehört zur Gruppe der Lincosamide, die viele
Gemeinsamkeiten mit den Makroliden aufweisen, aber dennoch eine
eigenständige Gruppe bilden. Clindamycin ist das am besten knochengängige Antibiotikum,
welches deshalb diese herausragende Stellung in der Zahnmedizin
eingenommen hat. Es wirkt durch Hemmung der Proteinsynthese der
Bakterien bakteriostatisch oder bakterizid je nach Art der Erreger und
Medikamentenkonzentration. Seine Hauptwirkung entfaltet es gegen
grampositive Kokken, z.B. Staphylokokken, Stretokokken, ferner gegen
einige Anaerobier und Toxoplasmen.
Die Tagesmaxiamaldosis beträgt bei normalgewichtigen Erwachsenen
1800 mg pro Tag, verteilt auf drei Einzeldosen im Abstand von jeweils 8
Stunden.
Sind als Nebenwirkungen bei den
Penicillinen Allergien und Juckreiz, verursacht durch eine
temporäre Permeabilitätsstörung der Kapillaren der Haut,
recht häufig, so steht bei Clindamycin die Gastroenteritis im
Vordergrund. Durchfall, Übelkeit und Erbrechen treten oft auf.
Nicht allzu selten gehen diese Beschwerden in eine postantibiotische, pseudomembranöse Enterocolitis
über, die durch schwerste Durchfälle mit hohem Wasser- und
Elektrolytverlust und starken krampfartigen Bauchschmerzen sowie
blutigen Stühlen einhergeht und lebensbedrohlich ist. Ursache
hierfür ist das bereits eingangs erwähnte akut gestörte
Bakteriengleichgewicht im Darm: Clostridium difficile, ein fakultativ
im Darm lebender Anaerobier vermehrt sich explosionsartig und
überschwemmt den Darm mit seinen Toxinen, die die Darmschleimhaut
massiv schädigen.
Aufgrund der Problematik wird daher von der Anwendung von Clindamycin in der Schwangerschaft dringend abgeraten!
Spezifisch gegen Anaerobier in der Mundhöhle wirkt Metronidazol,
welches als lokal wirkende Paste oder als systemisch wirkendes
Medikament in Tablettenform gegeben werden kann. Sinnvoll ist dies nur,
wenn eine therapierefraktäre Periodontitis marginalis vorliegt, da
diese zumeist durch Anaerobier als Leitkeime verursacht wird. Die
Therapie muß jedoch von einer dauerhaft exzellenten Mundhygiene
flankiert sein, bei der auch schwer zugängliche Nischen in
Knochentaschen gesäubert werden, nur dann kann ein dauerhafter
Therapieerfolg erwartet werden. Keinesfalls darf die Metronidazolgabe
als Ersatz für unzureichende Mundhygiene herhalten!
Eine Kanzerogenität des Medikamentes wird beim Menschen nach wie
vor vermutet, obwohl es diesbezüglich Beobachtungen nur im
Tierversuch gibt.
Antibiotikaprophylaxe vor chirurgischen Eingriffen in der Zahnmedizin
Einige Jahre lang wurden von Seiten der Kardiologie sehr
weitgehende Forderungen nach Antibiotikaprophylaxe vor jeglichen
chirurgischen Eingriffen erhoben.
Nicht nur Patienten mit Herzklappenersatz und durchgemachter
Endokarditis, auch Patienten mit mittelgradiger Herzinsuffizienz
sollten prophylaktisch Antibiotika erhalten, sogar schon zur
Zahnsteinentfernung! Diese exzessive Anwendung trug in der Folge nicht
unwesentlich zur Verbreitung von Resistenzen bei, so daß
mittlerweile die Forderungen nach einer Antibiotikaprophylaxe wieder
reduziert wurden. Selbst beim Zähneputzen treten
größere Bakterienmengen in die Blutbahn ein, die eine
Endokarditis bei Ansiedelung im Herzen und auf den Klappen hervorrufen
können. Daher ist eine Antibiotikaprophylaxe für die
Zahnsteinentfernung auch nicht sinnvoll. (Die genauen aktuellen
Richtlinien werden an dieser Stelle der Übersicht halber nicht
erläutert.)
Pilzerkrankungen in der Mundhöhle (Mycosen)
Häufigster Pilz in der Mundhöhle ist der zu den Hefen gehörende Candida albicans,
der im normalen bakteriellen Gleichgewicht in der Mundhöhle zwar
bei vielen Menschen vorhanden ist, in seinem Wachstum aber durch
Bakterien und das Immunsystem des Wirtes stark eingeschränkt wird.
Ändern sich aber die Verhältnisse in der Mundhöhle, kann
er überhand nehmen und in weißlichen Belägen (Soor)
wuchern, die beim Abwischen bluten. Ursachen können eine intensive
vorherige Antibiotikatherapie sein, eine noch nicht erkannte HIV- Infektion,
Systemerkrankungen (Leukämie), schlechte Prothesenhygiene in
Kombination mit Rauchen oder auch nur eine allgemeine Immundepression
im höheren Lebensalter. Auch kleine Kinder sind nicht selten
betroffen, ohne daß eine der vorgenannten Ursachen vorliegt.
Wichtigstes Medikament gegen Candida albicans ist Nystatin, welches
für die äußere Haut in Salbenform zur Verfügung
steht. Es wirkt an der Zellmembran der Hefen. Resistenzen sind noch
sehr selten.
Für die Mundhöhle kommen Sprays oder Lutschtabletten in
Betracht, die sehr häufig, mindestens viermal am Tage angewendet
werden müssen über einen Zeitraum von mindestens 6 Wochen,
ähnlich wie bei Mycosen der Haut, noch lange nach dem Verschwinden
der Hautentzündung. Für Prothesenträger ist es
notwendig, zum Lutschen der Tabletten die Prothesen auszugliedern, da
das Medikament nicht unter der die Schleimhaut bedeckenden
Prothesenbasis wirkt. Da dies ziemlich lästig sein kann, gibt es
dafür nystatinhaltige Prothesenhaftcreme (Proxifungine).