Eine kurze Geschichte der medikamentösen Antikoagulation (Der Internist- Beilage 53, 3/2012, zitiert nach Sylvia Haas, München)
1918
Auf der Suche nach einer gerinnungsfördernden
Substanz zur Behandlung verschiedener Blutungsübel isolierten
amerikanische Forscher aus Hundleber einen gerinnungshemmenden Stoff, den sie nach der griechischen Fachbezeichnung in der Medizin für die Leber- Hepar- Heparin nannten. Noch heute sind dessen pharmakologisch wirksamere und besser verträgliche Derivate ein
wichtiger Bestandteil der Vorbeugung und Behandlung von Thrombosen, insbesondere prä- und postoperativ,
sowie bei Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch, die einer
Thromboseprophylaxe bedürfen.
Heparine können nur parenteral verabreicht (gespritzt) werden.
1921-1923
In den Wintermonaten kam es in Kanada, später auch im
Jahre 1929 in den USA, zu einem mysteriösen Rindersterben durch
massiven Blutverlust nach Spontanblutungen. Es stellte sich
heraus, daß die Rinder schlecht gelagerten und daher vergorenen
Süßklee zu fressen bekommen hatten.
1933
Der Chemiker Karl Paul Link erhält von einem Bauern 50
kg vergorenen Süßklee und Blut eines verendeten Rindes. In
fünfjähriger Arbeit gelingt es ihm schließlich, die Substanz zu
isolieren, welche die Blutungen der Tiere verursacht hat. Die
hämorrhagisch unwirksame Substanz Cumarin im frischen Klee wird durch bakterielle
Vergärung in die blutgerinnungshemmende Substanz Dicumarol überführt.
1934-1936
Armand J. Quick gelingt die Aufklärung des
Wirkmechanismus von Dicumarol: Es vermindert die Aktivität des
Prothrombinkomplexes, der für den Start der Fibrinbildung aus den
Fibrinogenmolekülen nötig ist. Sein einstufiger
Gerinnungstest zur Aktivitätsbestimmung des Prothrombinkompexes
wurde daher Quick- Test
genannt und findet noch heute Anwendung. (Hilfreich für die
Namensgebung war wohl wie so oft auch in diesem Fall eine weitere
Bedeutung von "Quick"-
hier im Sinne von "schnell".)
1939
Aufklärung der Struktur des Vitamin K
(Koagulationsvitamin, welches für die Aktivierung des
Prothrombinkomplexes und anderer Gerinnungsfaktoren in der Gerinnungskaskade
unerläßlich ist) durch Dam und Doisy, die dafür 1943
den Nobelpreis erhielten. Wenig später erkannte
wiederum Link, daß eine starke
Strukturähnlichkeit
zwischen Dicumarol und Vitamin K besteht, weshalb Dicumarol das Vitamin
K von seinen Bindungsplätzen am Prothrombinkomplex
verdrängen kann und somit die Aktivierung verhindert.
1941
Erstmalige Anwendung von Dicumarol am Menschen in den USA
zur Verhinderung von Thrombosen. Das unter dem Markennamen Warfarin
(Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF) patentierte Medikament
ist noch heute im Einsatz.
All diese Vitamin K- Antagonisten werden als Tablette oral verabreicht. (Marcumar, Falithrom, Cumadin etc.)
Circa 50 Jahre lang gab es keine grundlegenden Verbesserungen in
der Therapie zur Verhütung von Thrombosen bei Menschen mit
erhöhter Gerinnungsneigunmg und in vorübergehenden
Situationen einer solchen, insbesondere postoperativ. Die Forschung
konzentrierte sich darauf, herauszufinden, welche individuellen
Faktoren eine Thrombophilie hervorriefen und auf die Frage, mit welchem
medikamentösen Schema möglichst vor dem Eintreten eines
solchen Ereignisses gehandelt werden sollte.
(In meiner Promotionsschrift zur Rolle des Heparin- Kofaktors II bei
der Entstehung von Thrombosen wurden beispielsweise auch Patientendaten
von Patienten, die trotz postoperativer Thromboseprophylaxe mit
Heparinen Thrombosen entwickelten, bearbeitet.)
Eine geringfügige Verbesserung der Thromboseprophylaxe stellte in
den 1980er Jahren die Einführung niedermolekularer Heparine dar,
die mit weniger Nebenwirkungen behaftet sind.
1990-2000
Erste direkte Thrombinhemmer und indirekte Faktor Xa- Hemmer
wurden getestet, die jedoch noch ausschließlich parenteral
verabreicht werden mußten. Es zeigte sich aber schon, daß
das Eingreifen auf einer früheren Stufe der Gerinnungskaskade zu
einer besseren Regulation der Antikoagulation führen konnte, insbesondere dadurch, daß erst
gar nicht zuviel Prothrombin- Komplex und in der Folge Thrombin
gebildet wurde.
2008
Kurz nacheinander werden die Medikamente Dabigatranetexilat als direkter Thrombinhemmer und Rivaroxaban als direkter Faktor Xa- Hemmstoff zugelassen. Beide Medikamente können in Tablettenform oral verabreicht werden. Die lästige Bestimmung des Gerinnungspotentials mittels Quick- oder INR- Test entfällt. Zunächst nur nach
Hüftgelenkoperationen zugelassen, weitete sich der
Anwendungsbereich immer mehr aus und umfaßt nun nahezu den gesamten Indikationsbereich der
Cumarinderivate (Prophylaxe von Beinvenenthrombosen, Vorhofflimmern
etc.). Ein Problem aber stellen die weit
höheren Therapiekosten im Vergleich zu den Cumarinderivaten
dar!