Chirurgische Zahnerhaltung

Avitale Zähne benötigen zur langfristigen Erhaltung eine Wurzelfüllung (siehe Beitrag 6/2012).
Eingedrungene Bakterien in den Dentinkanälchen, im Kanaldelta an der Wurzelspitze, aber auch im den Zahn umgebenden Knochen können mit den üblichen Maßnahmen, wie Kanalaufbereitung, Spülung mit antibakteriellen Flüssigkeiten und möglichst dichter Wurzelfüllung niemals vollständig eliminiert werden. Der körpereigenen Immunabwehr kommt entscheidende Bedeutung zu.
So ist es nicht verwunderlich, wenn wurzelgefüllte Zähne, die nach der Wurzelfüllung jahrelang klinisch und röntgenologisch unauffällig waren, bei einer alters- oder krankheitsbedingten Verschlechterung der Immunabwehr plötzlich schmerzen und Zeichen einer akuten apicalen Periodontitis (Knochenentzündung an der Wurzelspitze) aufweisen.
Bei anatomisch übersichtlichen Strukturen, z. B. an einwurzeligen Frontzähnen, wird man als Zahnarzt zur Vermeidung chirurgischer Maßnahmen zunächst versuchen, eine Revision der Wurzelfüllung durchzuführen, denn es bleibt festzustellen, daß chirurgische Eingriffe am Kieferknochen bei Personen, deren Knochenwachstum abgeschlossen ist, also bei allen Erwachsenen, immer zur Defektheilung führen. Sehr oft ist diese nicht nur bei einer feingeweblichen Untersuchung nachweisbar, sondern bereits im Röntgen- Zahnfilm zu sehen.

In vielen Fällen aber wird die Revision der Wurzelfüllung nicht zum Erfolg führen oder von vorn herein als aussichtslos gelten müssen: bei großem Kanaldelta mit vielen Resten des avitalen Pulpengewebes, welches bei der Wurzelkanalbehandlung nicht entfernt werden konnte und wo anschließend auch kein Wurzelfüllmaterial hingelangte,
bei stark abgewinkelten Wurzelspitzen, bei Fortbestehen einer Zyste oder anderer Formen chronischer Knochenentzündung, bei stärkerer Überfüllung des Wurzelfüllmaterials in den Knochen, bei Instrumentenbruch, bei sehr virulentem Bakterienstämmen.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß nicht allein akute Schmerzen behandlungsbedürftig sind; Zysten als Sonderform chronischer Entzündungen müssen immer entfernt oder saniert werden, denn sie werden durch Einlagerung von Zystenflüssigkeit im Laufe der Zeit stetig größer, verdrängen Nachbarstrukturen und stellen aufgrund erhöhter Zellteilungsrate sowie der Beteiligung von ansonsten im Kieferknochen inaktiven Epithelzellen, die einstmals die Zahnbildung ermöglichten, ein erhöhtes Karzinomrisiko dar. 2 % aller bösartigen Knochentumoren der Kieferknochen sollen aus Zysten hervorgehen.

Behandlung:
Im einfachsten Fall wird es genügen, die Wurzelspitze des betreffenden Zahnes chirugisch darzustellen, sie zusammen mit dem nekrotischen Gewebe im Kanaldelta zu resezieren und den entzündlich erweichten Knochen um die Spitze zu kürretieren. Wenn die direkt einsehbare Wurzelfüllung von retrograd her dicht erscheint und die Resektionshöhle etwa Erbsengröße nicht überschreitet, sind neben dem Wundverschluß keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich. Diese Behandlung ist günstigenfalls in wenigen Minuten durchführbar. Eine Röntgenkontrolle nach 6 Monaten Knochenheilung erscheint geboten.

Größere Resektionshöhlen sollten zwecks besserer Knochenstrukturbildung mit Knochenersatzmaterial aufgefüllt werden. Es stehen dafür mehrere von der Industrie hergestellte Präparate in unterschiedlichen Darreichungsformen zur Verfügung: Präparate auf Milchsäurepolymerbasis, Präparate auf der Grundlage von Schweineknochen, der dazu von sämtlichen organischen Bestandteilen befreit wurde,Trikalziumphosphatkeramiken, die eine ähnliche chemische Zusammensetzung wie der natürliche Knochen aufweisen.

Bei nicht optimaler Wurzelfüllung oder der Unmöglichkeit, den Kanal von antegrad aufzubereiten und abzufüllen, kann im Zusammenhang mit der Wurzelspitzenresektion eine retrograde Wurzelfüllung durchgeführt werden.

Entsprechende Versuche wurden schon seit den Tagen der ersten Wurzelfüllungen unternommen.
Bis in die jüngste Zeit wurde Amalgam in die retrograden Präparationen gestopft. Die Korrosion unter Luftabschluß und die toxische Wirkung verhinderten eine adäquate Knochenheilung; oftmals löste sich der Metallklumpen von der Wurzelspitze und lag als Fremdkörper fortan im Kieferknochen.
Besser verträgliche Glasionomerzemente wurden von Pasten auf Trikalziumphosphatkeramikbasis abgelöst. Langzeitkontrollen nach Anwendung dieser Materialien sind sehr ermutigend; neben einem dauerhaftem Verschluß des Wurzelkanals von retrograd scheinen sie die Knochenregeneration direkt zu stimulieren.
Dementsprechend kommen sie auch bei Reparaturen der Wurzeloberfläche zum Einsatz.

Ferner können apicale Verschlußstifte aus Titan in Kombination mit einer Wurzelspitzenresektion zum Einsatz kommen.
Sollte der Zahn aufgrund vorheriger weitlumiger Aufbereitung viel Hartsubstanz eingebüßt haben und besteht dadurch erhöhte Frakturgefahr, kann auch ein durchgängiger Titanstift verwendet werden, der apical über die Wurzelspitze hinaus in den Knochen ragt. Am koronalen Ende dient er zugleich als Basis für den Stumpfaufbau zur Aufnahme einer Krone. Voraussetzung ist natürlich, daß der Zahn keine abgwinkelte Wurzel hat.

Es bleibt aber festzuhalten: Keine noch so moderne chirurgische Maßnahme kann den Zahnerhalt garantieren. Immer wird es Fälle geben, die im Mißerfolg einer Zahnextraktion enden. Insbesondere im Molarenbereich sind Wurzelfüllungen aufgrund komplizierter Wurzelanatomie weitaus schwieriger als an den Frontzähnen.
Gleiches gilt für die chirurgischen Zahnerhaltungsmaßnahmen. Sensible Nachbarstrukturen wie Kieferhöhle und im Knochen verlaufende wichtige Nerven bergen ein viel größeres Risiko für derartige Eingriffe und eine höhere Mißerfolgsquote in sich.