Adhäsive
Füllungstherapie
1. Geschichtliche
Aspekte
Erste Füllungen an Zähnen sind vereinzelt bereits im 16.
Jahrhundert mit Blei nachweisbar- daher stammt wahrscheinlich auch der Name
„Plombe“- (lat. Plumbum; Blei).Ein anderer sprachlicher Ursprung könnte die von Plinius
d.Ä. verwendete Bezeichnung für Zinn- Plumbum album sein, da Zinn ein
Bestandteil von Silberamalgam ist, welches bekanntermaßen für knapp 200 Jahre
der Füllwerkstoff in der Zahnheilkunde schlechthin war.
Mit Blei gefüllte Zähne hielten nicht lange, da Blei nicht
mundbeständig ist, den Zahn avital werden läßt, wenn er es nicht schon zuvor
gewesen war und zudem Randkaries fördert. Die rasche Entfernung eines derart
gefüllten Zahnes mochte für die Betroffenen auch ob der Toxizität von Blei
daher ein Segen gewesen sein.
2. Die Goldhämmerfüllung
Die älteste brauchbare Füllmethode für Zähne stellt die Goldhämmerfüllung dar.Bereits im 17. Jahrhundert kam sie zur Anwendung, weit vor der durch Adolf Witzel im 19. Jahrhundert für die breite Bevölkerung eingeführten Amalgamfüllung.
Schwierig genug ist schon das Legen einer einflächigen
Füllung, erstreckt sich der zu füllende Defekt aber über mehrere Flächen, ist
schnell die Grenze dieser Füllmethode erreicht.
3. Die Amalgamfüllung
Der hohe Zeitaufwand und auch der hohe Materialpreis ließen
die Goldhämmerfüllung nie zur breiten Anwendung gelangen, dennoch ist
festzuhalten, daß mit allen anderen Füllmethoden nicht annähernd die durchschnittliche Haltbarkeit von 30
Jahren erreicht werden kann, noch heute nicht.
Wenn auch in Einzelfällen bei Amalgamfüllungen Standzeiten
von bis zu 90 Jahren dokumentiert werden konnten, die durchschnittliche
Haltbarkeitsdauer beträgt nur 10 Jahre.
Seit Beginn ihrer breiten Anwendung war die Amalgamfüllung
umstritten, wurde zunächst von den Vertretern der Goldhämmerfüllung bekämpft,
später von Naturheilkundlern und alternativ orientierten Zahnmedizinern,
zuletzt von Umweltexperten.
Wenn ihre Anwendung in den letzten Jahren immer seltener
wurde, so erfolgt nun ihr endgültiges Aus durch die Quecksilberrichtlinie der
EU aus dem Jahre 2005 und die UNEP- Empfehlung von 2011, wonach spätestens ab
2013 weltweit nirgendwo mehr Quecksilber verwendet werden darf.
Am wenigsten gefährlich ist paradoxerweise die
Amalgamfüllung für den Patienten selbst, da aus dem Silber-Quecksilber- Gemisch
fast keine gefährlichen Quecksilberdämpfe mehr entweichen. Anders hingegen
verhält es sich mit reinem Quecksilber, schon ein Kügelchen von 1 mm
Durchmesser läßt in einem geschlossenen Raum durchschnittlicher Größe die
erlaubten Grenzwerte für die Raumluft 30 Jahre lang übersteigen, bis endlich
das Kügelchen verdampft ist.
Da nun das Ende der Amalgamfüllung gekommen ist, lohnt eine
Rückschau:
Die Amalgamfüllung verzieh Fehler beim Legen, sie dehnte
sich leicht aus beim Aushärten, Spalten korrodierten überdies zu, bis sie dicht
waren.
Silber hat eine antibakterielle Wirkung, Randkaries trat
daher sehr selten auf.
Belassene Restkaries unter der Füllung zur Vermeidung der
Eröffnung der Pulpa sistierte, der Zahn konnte oft dadurch noch vital erhalten
werden.
Der erhöhten Wärmeleitfähigkeit und damit höheren Empfindlichkeit
des Zahnes nach dem Legen der Füllung wirkte die quecksilberverursachte
Neuropathie der Nervenfasern im Zahn entgegen, so daß recht rasch eine
Schmerzlinderung eintrat.
Eindeutig negativ hingegen sind natürlich die Farbe zu
bewerten und die Notwendigkeit, viel von der gesunden Hartsubstanz zu opfern,
um einen ausreichenden Halt im Zahn zu ermöglichen, der nur durch
Formschlüssigkeit zustande kommen konnte. Minimalinvasiv konnte trotz
gegenteiliger Versuche nie gearbeitet werden.
Der Hauptgrund der Ablehnung aber blieb die Sichtbarkeit
eines gefüllten Defektes- die damit verbundene psychologische Wirkung ist
oftmals sehr ungünstig.
(Deshalb konnten sich vermutlich ebenfalls silbrige
Amalgamalternativen ohne Quecksilber auf Galliumbasis aus den 1990er Jahren
nicht durchsetzen und auch silberverstärkter Glasionomerzement findet kaum
Anwendung.)
Vor der breiten Anwendung von Composites verwendete man als
zahnfarbene Alternative manchmal Silikatzement im sichtbaren, nicht
kautragenden Bereich und Steinzement im Seitenzahnbereich. Beide Materialien
waren weder transparent noch kantenfest oder polierbar, zudem erfolgte eine
langanhaltende Abgabe von Kieselsäure auch nach dem Aushärten, welche
regelmäßig dazu führte, daß der Zahn avital wurde. Knochenentzündungen an der
Wurzelspitze waren die Folge und führten zur baldigen Zahnentfernung.
4. Kunststoffüllungen
und moderne Werkstoffe
Schon in den 1950er Jahren war man bestrebt, Amalgam und
Silikatzement mit den neu aufgekommenen polymeren Plastikwerkstoffen zu
ersetzen. Die anfänglich hohen Erwartungen in diese neuen „Werkstoffe nach Maß“
erfüllten sich hingegen nicht.
Die Polymerisationsschrumpfung bei Aushärtung betrug bei den
ersten Composites über 35%, so daß große Randspalten die Folge waren, ja oftmals
die Füllung primär im Zahn gar nicht verankert werden konnte. Restmonomere
erwiesen sich als äußerst pulpentoxisch.
Über 50 Jahre materialkundlicher Forschung und klinischer
Anwendungsstudien mußten vergehen, bis eine tragfähige Füllungsalternative zum
Amalgam geschaffen werden konnte, auch für den Seitenzahnbereich.
Über die chemische Härtung führte der Weg zum
lichtinduzierten Start der Polymerisation, zunächst mit UV- Licht, später mit
kurzwelligem blauem, aber noch im sichtbaren Bereich liegendem Licht. Man
konnte damit den Restmonomergehalt der Füllung auf unter 1 % senken im
Gegensatz zu 5 % bei chemisch härtenden Kunststoffen, die vorzugsweise nur noch
dort eingesetzt werden, wo Lichthärtung nicht möglich ist, z. B. unter
Metallkronen.
Die Polymerisationsschrumpfung konnte auf etwa 1% gesenkt
werden.
Möglich wurde dies durch drei Phasen des Materials, die
organische Phase, die Phase der Füllstoffe und die Verbundphase, die die
Füllwerkstoffe chemisch mit der organischen Phase verbindet.
Bisphenol A- Glycidylmetacrylat ist meist der
Hauptbestandteil der organischen Phase moderner Composites. Diesem Stoff wird
eine östrogenartige Wirkung nachgesagt, allerdings tritt er nach Aushärtung des
Composites nicht mehr aus der Füllung aus.
Füllstoffe sind zumeist Glaskeramiken und Silikate, wobei die
Partikelgröße ganz entscheidend die Polierbarkeit und Mundbeständigkeit
bestimmt. Nanowerkstoffe sind hierbei die neueste Entwicklung.
Die Verbundphase besteht aus Silanen, die sowohl mit
organischen als auch mit anorganischen Stoffen chemische Verbindungen eingehen
und somit dafür sorgen, daß die Füllung nicht zerbröselt.
Um keine nichtpolymerisierten Anteile der Füllung zu
hinterlassen, darf die zu härtende Werkstoffmenge nicht zu dick sein. Bei
großen Füllungen ist daher schichtweises Arbeiten nötig.
Der Verbund mit dem Zahn kann auch heute noch nicht chemisch
erfolgen, sondern nur makroretentiv durch geeignete Präparationsform der
Kavität wie vormals bei den Amalgamfüllungen, darüber hinaus aber mikroretentiv.
Mit säurehaltigem Ätzgel wird auf der Oberfläche der
Zahnhartsubstanzen ein Ätzmuster geschaffen, da die Kristalle des Zahnschmelzes
gegen das Ätzen widerstandsfähiger sind als die dazwischen liegenden amorphen
Bestandteile, am Dentin erweitert das Ätzen hingegen vor allem die Kanälchen.
Kollagene Fibrillen werden freigelegt wie die Haare bei einer Kurzhaarfrisur. Durch Aufbringen von monomerem Primer und
anschließendes Bonden, ein Vorgang der heute zumeist mit geeigneten
Bondingmaterialien in einem Arbeitsschritt erfolgen kann, werden das
dreidimensionale Kristallgitter des Zahnschmelzes und die kollagenen Fibrillen
des Dentins umflossen. Das Bondingmaterial stellt somit die Haftschicht für den
Füllwerkstoff dar. Randspaltbildung wird bei exakter Verarbeitung somit
vermieden.
Es wird klar, daß ein Verbund nur zustande kommen kann, wenn
die Zahnoberflächen während dieser Arbeitsschritte trocken bleiben.
Der Streß für die vitale Pulpa ist durch dieses Vorgehen
nicht so groß, daß man regelmäßig deren Nekrose (Absterben) befürchten müßte.
Viel stärker wirkt sich dazu das Präparationstrauma aus, der
Hartsubstanzverlust durch Karies oder durch das Umschleifen der Achsrichtung
bei gekippten Zähnen zur Brückenversorgung.
5. Minimalinvasives
Arbeiten
Composites mit hoher Viskosität sind für den Aufbau
kautragender Strukturen erforderlich, fließfähige Composites eignen sich in
Kombination mit vorheriger minimalinvasiver Ultraschallpräparation bestens für
Füllungen mit geringstmöglichem Substanzverlust. Die für Amalgam aufgestellten Regeln der
Kavitätenpräparation nach Black haben ihre Berechtigung fast vollständig
verloren- zugunsten der Schonung der Hartsubstanzen.
Dualhärtende Composites, die sowohl mit Licht als auch
chemisch härten, können zur adhäsiven Befestigung von Kronen dienen oder für
adhäsive Stiftaufbauten und haben den vormals dafür zumeist verwendeten
Phosphatzement fast komplett verdrängt.
Sie waschen sich nicht aus, entwickeln auch an
Metalloberflächen eine gewisse Klebkraft, füllen Spalten am Kronenrand nach
Entfernung von Randkaries aus und können sogar für durchschnittlich längere
Zeit als alle anderen Materialien keilförmige Zahnhalsdefekte verschließen.
Die Farbgebung kann an die jeweilige Hartsubstanzumgebung
angepaßt und auch die Transparenz variiert werden, so daß sie selbst für den
Zahnarzt nahezu unsichtbar werden, was mitunter die Nachbearbeitung erschwert.
Zu erwähnen sind in der modernen Zahnheilkunde noch die
Glasionomerzemente, die als Befestigungszemente mit hoher Klebkraft einen
festen Platz eingenommen haben, ferner Gemische aus Composites und
Glasionomerzementen- die Compomere, die als kostengünstiges Material
verarbeitet werden können und dennoch die durchschnittliche Haltbarkeit von
Amalgamfüllungen zumindest erreichen.
6. Bewährung von
Werkstoffen im Praxisalltag
Ormocere- organisch modifizierte Keramiken hingegen sind
schon wieder vom Dentalmarkt verschwunden- schon nach kurzer Zeit bildete sich
bei ihnen eine rauhe und verfärbte Oberfläche.
„Biologisch verträgliches“ Polyglas hat sich ebensowenig
bewährt und wurde daher als Füllwerkstoff gleichfalls nicht mehr verwendet.
Ähnlich aber erging es auch vielen Composites verschiedener
Hersteller, den die Materialeigenschaften diverser Produkte unterscheiden sich
beträchtlich.
Die berechtigte Forderung, daß ein neuer Werkstoff vom
Zahnarzt erst nach 5- jähriger klinischer Erprobung angewendet werden sollte,
konnte in den letzten 20 Jahren kaum mehr erfüllt werden. Vielfach brachte die
Industrie wenig getestete Werkstoffe auf den Markt, die anfangs mit Lob
überschüttet wurden, dann aber nicht annähernd das hielten, was versprochen
worden war, so daß sie manchmal schon nach zwei Jahren wieder verschwunden
waren.
Die Industrie ersparte sich mit diesem Vorgehen den großen
Aufwand klinischer Studien und wälzte das Sammeln von Erfahrungen auf die
Zahnärzte und deren Patienten ab.Um dem zu entgehen, setzen wir in unserer Praxis auf wenige
Werkstoffe die bereits über 10 Jahre auf dem Markt sind und sich bewährt haben,
auch in der eigenen Langzeiterfahrung. Um die eigenen Beobachtungen auch wissenschaftlich zu
belegen, hat unsere Praxis vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit der Firma
DeTrey Dentsply eine Untersuchung der Oberflächenqualität des Werkstoffes
Dyract nach mindestens 5- jähriger Liegezeit vorgenommen. Die Füllungen wurden nach Präzisionsabformung im
anschließend hergestellten Modell nach Goldbedampfung elektronenmikroskopisch
untersucht und ausgewertet.
Ob die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten es zulassen,
Compositefüllungen zuzahlungsfrei anbieten zu können oder nicht, muß jede
Praxis individuell entscheiden. Die zuzahlungsfreie Anwendung von Glasionomerzement als
Langzeitprovisorium als Alternative zur Compositefüllung im Seitenzahnbereich
ist in unserer Praxis jedenfalls keine Option. Unsere Mischkalkulation erlaubt
es uns, in den meisten Fällen auf eine Zuzahlung verzichten zu können,
lediglich bei Compositefüllungen als preiswerter Alternative zu einer
Überkronung fallen geringfügig Zuzahlungen an.
7. Alte
Amalgamfüllungen- ist ein Austausch sinnvoll?
Die letzte Amalgamfüllung wurde in unserer Praxis Ende des
20. Jahrhunderts gelegt- auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten hin. Schon 6
Jahre zuvor hatten wir den Schritt weg vom Amalgam vollzogen, die Ausrüstung
für das Legen von Amalgamfüllungen aber vorerst noch behalten. (Mittlerweile
ist auch dieses Equipment umweltgerecht entsorgt.)
Von einem generellen Austausch noch intakter
Amalgamfüllungen hingegen raten wir nach wie vor ab. Bis dahin symptomlose vitale
Zähne können durch das neuerliche Präparationstrauma beginnen zu schmerzen,
eine Wurzelfüllung könnte erfolglos bleiben, so daß im schlimmsten Fall durch
derlei Maßnahmen am Ende die Zahnextraktion steht.