Kopfschmerzen und Neuralgien
Kopfschmerzen
Wie schon in vorangegangenen Beiträgen mehrfach
erwähnt wurde, sind Schmerzen ein sehr individuelles Phänomen
und oftmals in Lokalisation und Ursache kaum voneinander abgrenzbar.
Zahnschmerzen
gleich welcher Art, insbesondere pulpitische Beschwerden können
gerade im Anfangsstadium als Kopfschmerzen fehlgedeutet werden; liegen
eine Sinusitis maxillaris (Kieferhöhlenentzündung) oder ein
Craniomandibuläres Dysfunktionssyndrom (Kiefergelenk- und
Muskelschmerzen) vor, so ist die Abgrenzung mitunter noch
schwieriger.
Um Fehldiagnosen und -therapien zu vermeiden, ist oftmals das Abwarten sehr hilfreich -
bei Kieferhöhlenentzündungen
entwickelt sich nach einiger Zeit zumeist ein diffuses Druckgefühl
im Oberkieferbereich der betroffenen Seite, außerdem sind mehr
oder weniger alle Oberkieferzähne der betroffenen Seite
klopfempfindlich (und vital, sofern sie nicht aus anderen Gründen
bereits zuvor avital waren).
Das Druckgefühl kann vom Patienten nach einiger Zeit oft vom
nahezu obligatorischen Begleitkopfschmerz unterschieden werden.
Bei Kiefergelenk- und Muskelschmerzen weist der Tastbefund oft die Richtung der Diagnose, ggf. sind bildgebende Verfahren angezeigt.
Spannungskopfschmerzen
hat bereits fast jeder Mensch erlebt. Sie entstehen zumeist aus einer
persönlichen Überforderung heraus und sollten als Warnsignal
Beachtung finden. Die beste Therapie besteht in der Beendigung der
akuten Streßsituation, mäßiger Bewegung an frischer
Luft, ausreichend Schlaf und Abwechslung zwischen Arbeit und Freizeit
im persönlichen Tagesablauf. Auf Schmerzmedikamente sollte,
insbesondere im Kindesalter, unbedingt verzichtet werden, da deren
Gebrauch zur Gewöhnung und psychischen Abhängigkeit
führen kann - werden sie dann abgesetzt, wird der
Spanungskopfschmerz erneut hervorgerufen.
Abzugrenzen ist der Spannungskopfschmerz von der Migräne und
einsetzenden symptomatischen Kopfschmerzen, z. B. bei einem beginnenden
grippalen Infekt.
Im Gegensatz zum Spannungskopfschmerz, der beidseitig auftritt, ist bei der Migränezumeist
nur eine Seite des Schädels betroffen, sie erscheint dumpf
drückend oder pulsierend. Die Schmerzen setzen nicht anfallsweise
ein, sondern entwickeln sich innerhalb von 30 min bis zu mehreren
Stunden in Form eines gereizten Unwohlseins. Eine sensible Aura, in der
einzelne Symptome dem Patienten bewußt werden und er spürt,
der nächste Anfall ist nicht mehr fern, kann vorab auftreten.
In der Folge kann es zu
Übelkeit und Erbrechen kommen. Affektlabilität und
Empfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen sind typisch,
müssen aber nicht unbedingt vorkommen. Die Lichtempfindlichkeit
stellt sich für den Betroffenen oft als Flimmerskotom dar
(Karikatur nach Wilhelm Busch: subjektive Farberscheinungen in Gestalt beweglicher Flecken).
Ein positives Flimmerskotom gaukelt dem Betroffenen visuell
zusätzliche Eindrücke vor, ein negatives Flimmerskotom
bewirkt blinde Flecken im Gesichtsfeld, die aber im Unterschied zu
Löchern in der Netzhaut als leere Flecken wahrgenommen werden.
Diese Leerstellen können sich bis zur halbseitigen Blindheit
ausdehnen. Neurologische Symptome können begleitend auftreten, so.
z. B. Parästhesien (Gefühlsstörungen), flüchtige
Lähmungen, Wortfindungsstörungen, Schwindel,
Ohrgeräusche etc.. Auch ein Schlaganfall als Folge einer
Minderdurchblutung von Teilen des Gehirns ist in seltenen Fällen
möglich, desgleichen können sich in seltenen Fällen
epileptische Anfälle entwickeln.
Mit dem Einsetzen der Pubertät sind Frauen etwa doppelt so
häufig von der Migräne betroffen, wie Männer. Neben der
mitunter festen Bindung an die monatliche Periode der Frauen ergibt die
Suche nach weiteren auslösenden Faktoren kein einheitliches Bild.
Bestimmte Nahrungs- und Genußmittel wie Schokolade, Kaffee,
Alkohol sollten gemieden werden, ansonsten gilt für die Prophylaxe
das gleiche wie beim Spannungskopfschmerz: Ausreichend Bewegung an
frischer Luft, regelmäßiger Tagesablauf, ausreichend Schlaf
können helfen, Anfälle zu vermeiden oder seltener werden zu
lassen.
Als Ursache für die migräneartigen Kopfschmerzen wird
ein langzeitlicher oder sogar dauerhaft erhöhter Tonus der
das Gehirn versorgenden Blutgefäße (A. carotis externa et
interna) diskutiert, welcher durch einen Überschuß des
Neurotransmitters Serotonin hervorgerufen wird. Dieser erhöhte
Gefäßtonus ist einer Hypothese zufolge die primäre
Ursache der Migräne, einer anderen Hypothese zufolge aber nur
Folge einer Übererregbarkeit von Teilen der Hirnrinde. Für
letztere Hypothese spricht, daß die Zahl der Betroffenen in den
Industriegesellschaften mit ihrer permanenten Reizüberflutung
zugenommen hat. Auch neurogene Entzündungsprozesse und genetische
Faktoren werden diskutiert - für eine biochemische Fehlsteuerung
des Hirn - und Transmitterstoffwechsels aufgrund genetischer
Disposition spricht, daß die gleichen genetischen Defekte auch
bei Epilepsiepatienten gefunden werden.
Freies Serotonin
sensibilisiert die Schmerzrezeptoren und erhöht zugleich die
Gefäßpermeabilität (Durchlässigkeit der
Blutgefäße) für schmerzauslösende Substanzen
(Plasmakinin, Histamin, proteolytische Enzyme).
Der Abfall des Serotoninspiegels und die Ausscheidung der Abbauprodukte
über die Nieren führt zur raschen Vasodilatation
(Erschlaffung der Blutgefäße, die das Gehirn versorgen). Das
Überangebot an Plasmakinin bei zuvor erhöhter
Sensibilität der Schmerzrezeptoren durch Serotonin läßt
den Kopfschmerz einsetzen
(Karikatur nach Wilhelm Busch: gemeines Schädelweh).
Paradoxerweise ist die Phase des Kopfschmerzes für den Tonus der Hirnblutgefäße diejenige des Normalzustandes
- der erhöhte Gefäßtonus hingegen muß als
pathologisch (krankhaft) angesehen werden. Diese Sichtweise
erklärt auch die Wirksamkeit der oben beschriebenen
Prophylaxemaßnahmen sowie die Wirksamkeit von Medikamenten:
Initialstadium: z. B. Acetysalizylsäure, Paracetamol, Diclofenac,
Ibuprofen, Ergotamin (vermindert die Amplitude der Pulsation und damit
die Kopfschmerzen)
bei zyklischem Verlauf: Lithiumpräparate
Mit den Triptanen steht seit den 1990er Jahren ein spezifisches Therapeutikum
des Migräneanfalls zur Verfügung. Triptane wirken als
Serotoninrezeptoragonist - sie simulieren die Wirkung von Serotonin am
Rezeptor der Blutgefäße und halten somit bei Abfall des
Serotoninspiegels den Gefäßtonus aufrecht. Darüber
hinaus hemmen sie die Freisetzung entzündlicher Peptide und auch
die Ausbreitung von elektrischen Erregungen im Gehirn, die der
Schmerzwahrnehmung dienen.
Triptane müssen zu Beginn des Anfalls rechtzeitig und in
ausreichender Dosierung eingenommen werden. Eine Unterdosierung bewirkt
rasche Toleranz des Medikamentes und damit dessen Unwirksamkeit.
Triptane stehen als Tabletten, Nasentropfen, subcutane Injektion und
Infusionslösung zur Verfügung.
Wichtigste Nebenwirkung ist der arzneimittelinduzierte Kopfschmerz -
das Absetzen des Medikamentes hat ähnliche Wirkung wie der
Abfall des Serotoninspiegels und bewirkt eine Vasodilatation
(Erschlaffung) der das Gehirn versorgenden Blutgefäße.
Bei Übelkeit und Erbrechen während des Anfalls sind
Antiemetika (Antibrechmittel) hilfreich. Mit Opioiden hingegen sollte
auch bei starken Schmerzen Zurückhaltung geübt werden, auch
deshalb, weil sie die Übelkeit verstärken.
(Akkupunktur kann möglicherweise
dem Dauertonus der Hirngefäße entgegenwirken und durch
Setzen von leichten Schmerzreizen eine Blockade der schweren
Kopfschmerzen ermöglichen, außerdem bewirkt die
Therapiesitzung an sich bereits eine psychische Entspannung durch
Ausblenden von vielen Umweltreizen.)
Intervallbehandlung: Beta- Rezeptorenblocker zur Blutdrucksenkung, auch
Calziumantagonisten z. B. Verapamil, ggf. Wechsel des Ovulationshemmers
bei Frauen,
Antiepileptika und das Antidepressivum Amitryptilin wirken ebenfalls
vorbeugend, auch mit dem pflanzlichen Arzneimittel Pestwurz kann eine
prophylaktische Wirkung erzielt werden.
Abgegrenzt werden muß die Migräne unbedingt vom akuten Glaukomanfall
(stark erhöhter Augeninendruck, harter Augapfel,
Visusverschlechterung), der der sofortigen Notfalltherapie bedarf, da
ansonsten mit rascher bleibender Schädigung des Sehvermögens
zu rechnen ist.
Mit der Migräne eng verwandt ist der Clusterkopfschmerz,
der aber zugleich auch in den neuraliformen Beschwerdekreis (s.
Trigeminusneuralgie) hineinreicht. Extrem starke einseitige Kopf- und
Gesichtsschmerzen sind typisch, ebenso wie bei der Trigeminusneuralgie
kann fakultativ nach dem Anfall eine Rötung der Bindehaut des
Auges der betroffenen Seite mit verstärkter
Tränensekretion auftreten.
Ein wichtiger Unterschied zur Migräne aber ist die
psychomotorische Unruhe der Patienten, so laufen oftmals umher oder
krabbeln sogar auf allen Vieren.
Als Ursache für den Clusterkopfschmerz wird eine Fehlregulation im
Hypothalamus vermutet, in deren Folge die Kerngebiete des N. trigeminus
übererregt werden.
Während des Anfalls können die meisten Patienten mit
Sauerstoffnasenmaske und Triptanen als Nasentropfen oder Injektion gut
behandelt werden.
Die Medikation zur Prophylaxe hingegen ist der ähnlich der
Migräne: zunächst wird der Calziumantagonist Verapamil zum
Einsatz kommen, evtl. auch Lithium.
Ist die medikamentöse Prophylaxe unwirksam oder kann der Anfall
nicht ausreichend mit Triptanen und Sauerstoff kupiert werden, kann ein
neuromodulatorisches Verfahren in Frage kommen - die elektrische
Stimulation des Ganglion sphenopalatinum. Dazu werden Elektroden an den
Nervus petrosus major in Richtung des Ganglions, welches in der Fossa
pterygopalatina liegt, plaziert. Während des Anfalls kann der
Patient mittels eines Steuergerätes eine elektrische
Stimulation selbst herbeiführen. Durch elektromagnetische
Induktion kann auf eine Kabelverbindung nach außen verzichtet
werden.
Die Behandlungsergebnisse zeigen, daß von dieser Therapie etwa zwei Drittel der Betroffenen profitieren können.
Neuralgien
Wichtigste Neuralgie im Gesichtsbereich ist die Trigeminusneuralgie.
Der N. trigeminus als V. Hirnnerv (dreigeteilter Nerv)
(siehe Abbildung) versorgt sensibel den Gesichtsbereich, die Mundhöhle
und motorisch u. a. die Kaumuskulatur.
Bei Schmerzen in seinen Dermatomen
(V 1, V 2, V 3, siehe Abbildung),
dem jeweiligen Innervationsgebiet, werden idiopathische und
symptomatische unterschieden. Bei den idiopathischen Schmerzen handelt
es sich um die klassische Trigeminusneuralgie, die meistens einseitig
im Ausbreitungsgebiet des 2. und 3. Astes (V 2, V 3) auftritt; bei den
symptomatischen Neuralgien, die besser als atypischer Gesichtsschmerz bezeichnet werden, kann eine sekundäre Ursache gefunden werden.
Solche Ursachen sind z. B.: gut- und bösartige Tumoren, Neurinome,
Nasennebenhöhlenentzündungen, Multiple Sklerose,
monosymptomatische, somatisierte Depression, neuropathische Schmerzen,
verursacht durch Diabetes mellitus oder Alkoholabusus, seltener
Tabakkonsum, verlagerte Zähne oder Zahnwurzelmißbildungen,
Verletzungen, oft auch verkannte Zahnschmerzen (subakute Pulpitiden,
beginnende Gangrän). Auch die Folgen einer Gürtelrose im
Gesichtsbereich (Herpes Zoster) müssen als Ursache mit in Betracht
gezogen werden.
(Für eine symptomatische
Neuralgie des N. glossopharyngeus kann ein anatomisch verlängerter
Processus styloideus in Betracht kommen, was durch bildgebende
Verfahren diagnostiziert werden muß.)
Symtome der idiopathischen (klassischen) Neuralgie:
- Blitzartig einsetzender Schmerz im zumeist 2. oder 3. Ast des N.
trigeminus, der wenige Sekunden bis zu 2 Minuten anhält, mehrmals
pro Tag oder Woche mit zunehmender Häufigkeit im Verlauf der
Erkrankung
- Auslöser können sein: Kauen, Sprechen, Schlucken, Berührung, Zähne putzen, Kälte, Rasieren
- Die Schmerzen gehören zu den stärksten, die Menschen
empfinden können. Daher entwickelt sich oft im Verlauf der
Erkrankung eine depressive Symptomatik mit gesteigerter
Suizidalität. Vermieden wird alles, was den Anfall hervorrufen
kann - bei Kälte ins Freie gehen, Rasieren etc..
- Die Sensibilität ist im anfallsfreien Intervall nicht
gestört, und es bestehen auch keine Schmerzen im Intervall.
(- Die idiopathische Neuralgie des N.
glossopharyngeus äußert sich in anfallsartigen Schmerzen in
der Tonsillengegend, im Zungengrund oder Mittelohr. Essen und kalte
Getränke können Auslöser sein, wordurch die Betroffenen
oftmals das Essen unterlassen.)
Symptome des atypischen Gesichtsschmerzes:
- Langsam an- und wieder abschwellender Schmerz
- Dauer: 30 Minuten und länger
- Beidseitiger Schmerz
- 1. Ast des N. trigeminus
- zeitweise oder dauerhafte Sensibilitätsstörungen
- Mißempfindungen auch zwischen des Anfällen
Als Ursache der idiopathischen Trigeminusneuralgie
wird heute ein abnormer Druck einer arteriosklerotisch oder auch nur
anatomisch erweiterten Arteria cerebelli superior auf den Teil des sich
innerhalb der Dura mater (harte Hirnhaut) befindlichen Teil des N.
trigeminus gesehen. Durch die pulssynchrone Schwankung des Druckes auf
Teile des Nerven kommt es zur Demyelinisierung (Abbau der
Nervenscheidewand), wodurch Berührungsreize auf die
schmerzleitenden C- Fasern übertragen werden (im Sinne eines
Kurzschlusses), wodurch es im Gehirn zu einer Fehlinterpretation der
äußeren Reize als Schmerzen kommt. Allerdings ist zu
beachten, daß dieser Mechanismus bei weitem nicht alle Patienten
mit arteriosklerotischen Veränderungen in diesem Bereich betrifft.
Therapie:
Die Behandlung der symptomatischen Neuralgie bzw. des atypischen
Gesichtsschmerzes besteht selbstverständlich in der Beseitigung
der Ursache, sofern dies möglich ist.
Die idiopathische Neuralgie wird zunächst konservativ behandelt -
Antiepileptika spielen hierbei eine wichtige Rolle , so z. B.
Carbamazepin oder als Natriumkanalblocker Phenytoin. Diese Medikamente
sollen die Übererregbarkeit des N. trigeminus dämpfen.
Zusätzlich kann Baclofen gegeben werden. Medikamente, die die
Wirkung hemmender Transmitter simulieren, z. B. Gabapentin, zeigen
gleichsam Wirkung.
Neuralgiforme Schmerzen bei Multipler Sklerose können mit Misoprostol gut behandelt werden.
Auch bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie wird hingegen die Verwendung von Opiaten nicht empfohlen.
Haben die konservativen Maßnahmen keinen oder nur unzureichenden Erfolg, kann eine operative Therapie in Erwägung gezogen werden.
Eine seit langem verlassene Methode bestand in der Durchtrennung des
betroffenen Astes des N. trigeminus an der äußeren
Schädelbasis kurz hinter dem Ganglion trigeminale. Ob dadurch
Schmerzfreiheit erzielt werden konnte, war zumindest zweifelhaft, mit
Sicherheit aber kam es zur dauerhaften Anästhesie
(Taubheitsgefühl) im gesamten Ausbreitungsbereich des
Trigeminusastes.
Die heutigen Methoden sind weitaus subtiler, zielen aber teilweise nach
wie vor auf die selektive Nervschädigung hin: Durch chemische
Substanzen (z.B. Glycerin), mechanischen Druck (Ballonkompression) oder
auch gezielte Gammabestrahlung sollen vor allem die weniger
myelinisierten schmerzleitenden C- Fasern des N. trigeminus
zerstört werden unter möglicher Schonung der sensiblen
Anteile. Nebenwirkungen sind hierbei natürlich auch
Gefühlsstörungen im Ausbreitrungsgebiet des Nerven.
Unter Eröffnung der Schädelbasis kann am
Kleinhirnbrückenwinkel eine operative Dekompression des N.
trigeminus versucht werden. Dazu werden zwischen die A. cerebelli
superior und den N. trigeminus Muskelfasern oder körperfremdes
Material, z. B. Teflonschwämmchen eingelegt. Die
Früherfolgsquote von 98 % ist zugleich ein Beleg für die
mechanische Ursache der idiopathischen Trigeminusneuralgie.