Nachblutungen und Gerinnungsstörungen in der
Zahnmedizin
Nach jedem operativen
zahnmedizinischen Eingriff besteht die Gefahr des Nachblutens. Daher wird in
der Praxis nach einer Zahnentfernung noch etwas gewartet, bis die
notwendigerweise auftretende Blutung zum Stillstand gekommen ist. Dies wird im
Normalfall nach etwa 30 Sekunden der Fall sein- diese Zeit entspricht dem Ablauf
der Gerinnungskaskade mit Aktivierung der einzelnen Gerinnungsfaktoren hin zur
Bildung von Fibrin, welches die kleinen Blutgefäße verschließt und die
Wundoberfläche abdeckt.
Mannigfaltige Faktoren können den normalen
Ablauf der Blutgerinnung stören: Blutungsübel, Arteriosklerose, Diabetes
mellitus, auch nur hohes Lebensalter. Medikamente können als Nebenwirkung eine
gestörte Blutgerinnung zur Folge haben.
Blutungsübel von erheblicher Wirkung
auf die gesamte Lebensführung, wie z. B. Hämophilie A mit Aktivität des Faktors
VIII von unter 1%, sind bereits vor dem Zahnarztbesuch bekannt. Operative
Eingriffe können in solchen Fällen nur stationär erfolgen unter vorheriger Gabe
von Faktor VIII- Konzentrat. Wichtig aber für den ambulant tätigen Zahnarzt ist
die diesbezügliche Information vom Patienten, da auch für nichtoperative
Behandlungsmaßnahmen Vorsorge getroffen werden muß.
Medikamentöse
Gerinnungshemmung
Eine wichtige Ursache von verlängerten
Blutungszeiten ist die Behandlung mit gerinnungshemmenden
Medikamenten.
Acetylsalicylsäure (z .B. ASS 100) hemmt die Aggregation der
Thrombozyten (Verklumpung der Blutplättchen im gerinnenden Blut) und kann in
einigen Fällen zu langanhaltendem Nachbluten führen. Patienten sind deshalb
immer wieder geneigt, vor operativen Eingriffen das Medikament eigenmächtig
abzusetzen.
Davor muß entschieden gewarnt werden, hat doch die erhöhte
Gerinnungsneigung nach abruptem und nicht ausschleichendem Absetzen eine erhöhte
Thrombosegefahr zur Folge mit Komplikationen wie Schlaganfall, Herzinfarkt,
Lungenembolie.
Erstens ist bei ASS
100- Medikation die Blutungsgefahr nach zahnärztlichen Operationen bei weitem
nicht so hoch, wie man oftmals meint,
zweitens ist eine ASS 100- verursachte
Nachblutung eine vergleichsweise harmlose und gut beherrschbare Komplikation,
drittens muß man sich klarmachen, daß
auch nach längerem Nachbluten der Blutverlust recht gering ist im Vergleich mit
Blutungskomplikationen nach chirurgischen Eingriffen im Krankenhaus. Da das Blut
aus der Mundhöhle mit Speichel verdünnt wird, erscheint die Menge viel größer,
als sie tatsächlich ist. Schon geringe Blutmengen färben den Speichel "blutrot".
Erst nach 48 Stunden ununterbrochenen Blutens aus einer Extraktionswunde können
Blutverluste eintreten, die zu gesundheitlichen Folgen führen. (Bei Kindern und
Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen gelten natürlich andere
Maßstäbe.)
Eine stärkere und kostengünstige, jedoch sehr schwierig zu
steuernde gerinnungshemmende Medikation wird seit den 1940er Jahren mit Cumarinderivaten (Marcumar, Falithrom,
Cumadin etc.) durchgeführt. Anfänglich nur nach
Herzinfarkt, später nach Thrombosen zur Langzeitprophylaxe empfohlen, weitete
sich der Anwendungsbereich stetig aus, bis in jüngster Zeit diese Medikamente
auch bei Herzvorhofflimmern zum Einsatz kamen, um die damit verbundene erhöhte
Emboliegefahr nach Bildung eines Blutgerinnsels im Vorhof zu verhindern.
Cumarine greifen an verschiedenen Stellen der Gerinnungskaskade ein, sie
hemmen die Vitamin-K-abhängige
Aktivierung von Faktor X, Faktor XI, Faktor VII und Thrombin, darüber hinaus
auch von Protein C und Protein S. In der Folge kommt es zu einer verlängerten
Prothrombinzeit, die im Vergleich mit Normwerten im Quick- Test bestimmt wird
bzw. im vom einzelnen Labor unabhängig bestimmbaren International Normalized
Ratio- Wert (INR).
Ein therapeutisch wirksamer INR von 2,5 bzw. Quick- Wert
von 25% muß durch stetige Überwachung und Anpassung der Medikation gehalten
werden.
Zu niedrige Gerinnungsfähigkeit des Blutes führt zu gefährlichen
inneren Spontanblutungen, z. B. zu ausgedehnten blauen Flecken unter der Haut
nach Bagatellverletzungen, zu Einblutungen in Gelenke, Magen- Darm- Blutungen,
schlimmstenfalls Hirnblutungen.
Zu hohe Quick- Werte von z. B. 60% bzw. zu
niedrige INR- Werte , z. B. 1,0, bedeuten, daß keine wirksame Gerinnungshemmung
besteht.
Da Vitamin K in unterschiedlicher Menge über die Nahrung zugeführt
(Kohl, Spinat, Zwiebeln etc.) und auch den Darmbakterien die Synthese von
Vitamin K zugeschrieben wird, ist klar, daß eine Dosierung der Cumarine nur
individuell möglich ist und sich auch im zeitlichen Verlauf stetig ändern kann.
Für ambulante chirurgische Eingriffe in der
Zahnmedizin ist ein Quick- Wert von 25% bzw. INR von 2,5 völlig
ausreichend. Äußerst selten kommt es bei diesen Werten zu postoperativen
Blutungskomplikationen.
Eine präoperative Umstellung der Medikation von
Cumarinderivaten auf Heparin, wie sie etwa vor stationären chirurgischen
Maßnahmen durchgeführt wird, ist völlig unnötig, den Patienten belastend und
sogar gefährlich. Heparine können manchmal zur Thrombozytopenie führen,
zum Abfall der Konzentration der Blutplättchen im Blut, was innere Blutungen
nach sich ziehen kann. Bei (sehr seltenem) schwerem Verlauf mit Antikörperbildung gegen die
Thrombozyten kann es zu Todesfällen kommen!
Andererseits kann beim
Übergang zur Heparinisierung eine erhöhte Thrombosegefahr auftreten, wenn eine
Wirkungslücke der Medikamente entsteht.
Sollte bei Behandlung mit
Cumarinderivaten tatsächlich eine mit lokalen Behandlungsmaßnahmen nicht zu
beherrschende Nachblutung eintreten, kann immer noch der Vitamin-K-Spiegel im
Blut durch intravenöse Gabe von Vitamin K als Medikament künstlich angehoben
werden.
Neue Medikamente zur Gerinnungshemmung sind die direkten Faktor
Xa- bzw. Thrombin- Antagonisten Rivaroxaban
und Dabigatranetexilat.
Zur großen Erleichterung für die Patienten
sind bei diesen Medikamenten die lästige Quick- Wert und INR- Bestimmung nicht
nötig.
Nachteilig wirken sich neben hohen Kosten aber die Notwendigkeit
einer ganz zuverlässigen Einnahme aus- schon nach einer einzigen vergessenen
Tablette besteht die Schutzwirkung vor einer Thrombose nicht mehr. (Beim
Absetzen von Cumarinen dauert es wesentlich länger, bis die Gerinnungsfähigkeit
des Blutes wieder ansteigt.)
Bei der Medikation mit Rivaroxaban und
Dabigatranetexilat gibt es für zahnärztliche Operationen keine zusätzlich
einzuleitenden Maßnahmen.
Vorheriges Absetzen ist aus den genannten Gründen
absolut nicht zu empfehlen, bei einer unbeherrschbaren Blutungskomplikation muß
dies natürlich postoperativ erfolgen, wobei nach 12-24 Stunden die normale
Blutgerinnung wiederhergestellt ist. Ein Gegenmittel wie Vitamin K zu den
Cumarinen existiert für Dabigatranetexilat nicht, gegen die Rivaroxaban-Wirkung kann in Notfällen
Prothrombin-Komplex-Konzentrat (PPSB) infundiert werden. (Der Internist- Beilage 53, 3/2012)
Wie sollte man sich bei
einer Nachblutung als Patient verhalten?
Nervosität und innere Unruhe
verstärken die Nachblutung nur!
Wichtig ist
es, nicht auszuspülen, auch wenn man das Bedürfnis hat, sich des Blutes
aus der Mundhöhle zu entledigen! Durch Ausspülen wird das sich bildende
Blutgerinnsel immer wieder weggespült.
Ursache einer Nachblutung sind
meistens sich nicht zusammenziehende Kapillaren am Zahnfleischsaum. Daher ist es
sehr hilfreich, in ein Stofftaschentuch,
keinesfalls Zellstoff, ein oder zwei Knoten zu machen und mindestens eine
Stunde kräftig darauf zu beißen. Dazu sollte man sich hinlegen. Ein kalter
Umschlag auf die Stirn hilft zusätzlich. Wärmeeinwirkung ist zu vermeiden.
Sollte dies nicht reichen, ist in der Praxis eine Kompressionsnaht der Wunde
möglich, die Gabe eines künstlichen Blutkoagulums als Medikament (Beriplast), es
kann ein Medikament zum Lutschen gegeben werden, welches die zu rasche Auflösung
eines Koagulums verhindert (Paraaminomethylbenzoesäure, PAMBA);
bei einer
Blutung aus dem Knochen kann verbolzt werden.
Wie ist das mit der
"Blutverdünnung"?
Abschließend sei noch das Problem der deutschen Bezeichnung für die
Antikoagulantien erörtert.
Es ist wichtig, daß die Patienten verstehen, daß
die beschriebenen Medikamente lediglich gerinnungshemmend wirken. Sie blockieren auf
unterschiedliche Weise die Gerinnungskaskade, die zum Ziel hat, daß sich
Thromben bilden, die äußere Verletzungen oder auch Verletzungen der Gefäßwand
abdecken und den ersten Schritt zur Heilung darstellen, manchmal aber sich eben
auch unerwünscht bilden.
Eine Verringerung der Viskosität, eine Erhöhung der
Fließfähigkeit des Blutes, bewirken diese Medikamente ganz sicher nicht. Dies
träte nur nach stärkerem Blutverlust und Ausgleich des Blutvolumens mit
Flüssigkeiten auf, wenn keine Bluttransfusion durchgeführt würde (was ja nicht
immer nötig ist). Die verringerte Viskosität des Blutes wäre überdies nicht von
langer Dauer und auch nicht von therapeutischem Nutzen. (Es gibt elegantere
Behandlungsmöglichkeiten als den Aderlaß!)