Totale Prothesen nach Alexander Gutowski
Zahnlosigkeit ist nichts, was von Patient
wie Zahnarzt je angestrebt wird. Kommt es dennoch dazu - die
Gründe können sehr verschieden sein - und ist es nicht
möglich oder vom Patienten nicht gewünscht, mit
implantatgetragenem Zahnersatz der Zahnlosigkeit zu begegnen, so kommt
als Therapiemittel die Totale Prothese zum Einsatz.
Eigenschaften Konventioneller Totaler Prothesen
Saughaftung: Im Oberkiefer ist sie
zumeist vorhanden durch Gestaltung von Innen- und Außenventil,
Adhäsion durch breitbasiges Aufliegen auf dem Gaumen, eventuell
geringfügig vorhandene knöcherne Unterwölbungen, die
aber im Laufe der Zeit schrumpfen; im Unterkiefer hingegen besteht
keine Saughaftung, da die Basis schmaler ist und der
konventionell gestaltete Funktionsrand keine Ventilwirkung erlaubt, die
breiten Ränder ermöglichen es der längs verlaufenden
Muskulatur, die Prothese auf ihrer Unterlage zu fixieren. Die
Stabilisierung einer konventionellen Totalen Unterkieferprothese im
Munde erfolgt daher aktiv.
Schrumpfung der Kieferknochen:
Da die natürlichen Zähne vermittels ihrer bindegewebigen
Aufhängung bei Belastung eine Zugwirkung auf den Knochen
ausüben, wird hierbei die Knochenhöhe funktionell erhalten.
Drücken hingegen Prothesenbasen auf den Kieferknochen, fehlt nicht
nur der knochenerhaltende Zug, sondern es wird durch Druck die
Knochenschrumpfung beschleunigt. Hierbei schrumpft der Unterkiefer in
vertikaler Richtung, der Oberkiefer aber in vertikaler und horizontaler
Richtung, so daß ziemlich rasch der Kieferkamm des Oberkiefers im
Frontbereich weit hinter dem des Unterkiefers zu liegen kommt. Um dies
auszugleichen, müssen die Oberkieferfrontzähne der Totalen
Prothese vor dem Kieferkamm aufgestellt werden, was zwar die
Ästhetik verbessert (die Oberlippe wirkt beim Tragen der Prothese
nicht eingefallen), die Funktion aber beeinträchtigt. Im
Extremfall müssen die Prothesenzähne sogar im unteren
Frontzahnvorbiß aufgestellt werden.
Da Druck zur beschleunigten Knochenschrumpfung führt, ist es nicht
ratsam, die Prothesenbasis aus weichbleibenden Materialien
herzustellen. Der Schaukeleffekt erzeugt weit höhere
Druckbelastungen als eine verwindungsfreie und starre Prothesenbasis.
Da Haftcremes eine ähnliche Wirkung wie weichbleibende
Prothesenbasen haben, ist von ihrer Benutzung immer dann abzuraten,
wenn der Prothesenträger es vermag, sich mit seinen Prothesen gut
zu arrangieren. Hilfreich hierzu ist, die Prothesen nicht als
Fremdkörper, sondern als Teil des Organismus zu betrachten.
Komplikationen der Schrumpfung der Kieferknochen: Ist
lediglich der Oberkiefer zahnlos und mit einer Totalen Prothese
versorgt und ist im Unterkiefer eine Frontbezahnung vorhanden, deren
Druck auf den Oberkiefer nicht durch eine gut funktionierende
Unterkieferprothese auf die Oberkieferprothese gleichmäßig
verteilt wird, so kann im schlimmsten Fall die
Oberkieferknochenschrumpfung bis zur Eröffnung der
Kieferhöhlen voranschreiten. (Anzumerken ist hierbei, daß Rauchen den
Schrumpfungsprozeß erheblich beschleunigt.) Im Unterkiefer
hingegen kann der Kieferknochen sogar unter dem Ansatz der
Mundbodenmuskulatur zu liegen kommen (negativer Kieferkamm). Selbst
Spontanfrakturen können eintreten.
Abbeißen:
Keine noch so gute Saugwirkung einer oberen Totalen Prothese kann den
Kräften widerstehen, die beim Abbeißen im Frontzahnbereich
entstehen. Daher sollte das Abbeißen in den Seitenzahnbereich
verlagert werden. Nach ca. 6 Monaten nach Eingliederung vermögen
es aber die meisten Träger Totaler Prothesen, auch im
Frontzahbereich abzubeißen - sie drücken hierzu die
Prothesenbasis im Bereich des Überganges vom harten zum weichen
Gaumen an die Unterlage mit Hilfe der Zunge. Das Einüben dieser
Bewegung und der für Totale Prothesen nötigen Kaumuster
dauert etwa ein halbes Jahr, manchmal aber auch zwei Jahre und es kann
willentlich kaum beschleunigt werden. Nur der Wille, sich unbedingt mit
den Prothesen zu arrangieren, befördert mitunter eine rasche
Adaptation.
Konstruktive Ausführung: Reine
Kunststoffbasen zerbrechen oftmals nach einiger Tragedauer durch
Verspröden des Materials, insbesondere dann, wenn die Basis durch
Knochenschrumpfung hohlliegt oder gar zu schaukeln beginnt. Neben der
Bruchreparatur ist oftmals auch eine Unterfütterung nötig.
Stabiler gestaltet werden kann die Basis durch Einarbeiten von
Metallgittern und Metallschienen, was aber oftmals den Träger der
Prothese die Notwendigkeit einer Unterfütterung sehr spät
erkennen läßt. Die üblicherweise verwendeten
Kunststoffzähne abradieren rascher als Keramikzähne; letztere
sind zwar abrasionsfester, brechen aber leichter ganz oder teilweise
aus der Basis der Prothese heraus. (Nach neuesten Erkenntnissen
fördern Quarzstäube sowohl die Abrasion natürlicher
Zähne wie auch von Prothesenzähnen in ganz erheblichem
Maße - in weiten Gebieten auf der Welt sind Menschen
erhöhter Quarzstaub- und Quarzsandbelastung ausgesetzt.)
Soll das Temperaturempfinden am bedeckten Gaumen verbessert werden,
können auch Metallbasen anstatt Kunststoffbasen zum Einsatz
gelangen.
(Prothesenbasen aus hartem Kautschuk werden nicht mehr hergestellt und sind heute nur noch von historischem Interesse.)
Eigenschaften aufwendig hergestellter Totaler Prothesen nach A. Gutowski
Die beschriebenen Probleme konventioneller Prothesen zu beheben
oder abzumildern wurde auf vielfältige Weise versucht. Durch
Einarbeiten von Magneten, deren Pole sich abstoßen, sollte
beispielsweise versucht werden, die Prothesen auf ihre Unterlage zu
drücken, gleiches wurde auch mechanisch mit beide Prothesen
verbindenden Druckfedern versucht, die naturgemäß die
Wangenschleimhaut permanent verletzen mußten. Saugkammern und
Saugnäpfe am Gaumen führten zur raschen Knochenschrumpfung im
Bereich dieser Hilfsmittel bzw. zu Schleimhautwucherungen.
Verschiedene einfache oder auch sehr komplizierte Abformverfahren
wurden in der Folge mit mehr oder weniger Erfolg zur Anwendung gebracht
- sie folgten der jeweils vorherrschenden Meinung zur konstruktiven
Gestaltung von Totalen Prothesen, insbesondere im Unterkiefer.
Zwei Extrempositionen sollen kurz umrissen werden - die mucostatisch
gelagerte und die mucodynamisch gelagerte Unterkieferprothese. Im
ersten Falle sollte die Prothesenbasis nur auf dem knöchernen
Kieferkamm gelagert werden, auf daß die vertikal verlaufende Muskulatur
sie nicht von ihrer Unterlage abhebele, was meist zu sehr schmalen
Prothesenbasen führte, die vom Patienten kaum adaptiert werden
konnten. Die Gegenposition bestand in der Gestaltung extrem breiter
Prothesenbasen zur muskulären Stabilisierung - auch dies wurde nur
von wenigen Patienten toleriert.
Das Konzept von A. Gutowski
hingegen sucht nicht den "Goldenen Mittelweg", sondern es stützt
sich auf die genaue Übertragung der anatomischen und funktionellen
individuellen Verhältnisse auf die Prothesen. So wird es
möglich, auch im Unterkiefer einen Saugeffekt der Prothese zu
erzielen; im Oberkiefer ist der Saugeffekt mitunter so stark, daß
die Prothese nur ausgegliedert werden kann, indem mittels Aufblasen der
Backen das Außenventil aufgehoben wird.
Da der Aufwand zur Herstellung solcher Totaler Prothesen weit
höher ist als derjenige für konventionell hergestellte,
sollten Totale Prothesen nach A. Gutowski nicht unmittelbar nach der
Extraktion der letzten natürlichen Zähne hergestellt werden,
denn der danach zu erwartende rasche Knochenabbau und die notwendigen
Unterfütterungen würden den Herstellungsaufwand
unwirtschaftlich werden lassen.
Bereits für die Erstabformung, bei konventionellen Prothesen eine
Sache von wenigen Minuten, muß bei Totalen Prothesen nach A.
Gutowski ein Zeitaufwand von 60-90 Minuten geplant werden, gleiches
gilt für die in der nächsten Sitzung erfolgenden
Funktionsabformungen.
Es ist an dieser Stelle nicht sinnvoll, den Arbeitsablauf im einzelnen
zu beschreiben, es sei aber betont, daß nicht nur die Dauer der
einzelnen Sitzungen gegenüber konventionellen Prothesen stark
verlängert ist, auch der gesamte Zeitraum bis zur Eingliederung
ist länger, denn das zahntechnische Labor benötigt
ebenso mehr Zeit für die Arbeitsschritte. Erwähnung finden
sollte aber, daß die Bißnahme auf individuellen
Löffeln mit Funktionsrändern erfolgt, dies ermöglicht
eine eindeutige Fixierung der Bißwälle im Munde des
Patienten, eine Stützstiftregistrierung wird entbehrlich.
Festzustellen bleibt, daß es sich um ein wohldurchdachtes Konzept
handelt, bei welchem jedes, aber auch wirklich jedes Detail
Berücksichtigung findet.
Somit können die eingangs erwähnten Probleme Totaler
Prothesen zwar nicht völlig umgangen, doch so wesentlich gemildert
werden, daß sie den Träger nicht mehr in nennenswertem
Maße beeinträchtigen.